- Birte Gutmayer
- 3. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Apr.
"Coma Sant Pere" 8c/+, Margalef
Die besondere Challenge im Langzeitprojekt

Der wahre Erfolg
Als ich 2022 zum ersten Mal in die Route Coma Sant Pere in Margalef einstieg, ahnte ich nicht, wie lange mich diese Route begleiten wird und wie oft ich in den Sektor Catedral pilgern sollte. Es gab Momente der Zuversicht, aber auch genauso viele des Zweifels. In einigen Wochen dominierten zielorientiertes, fast tägliches Training, in anderen nahm ich großen emotionalen Abstand von diesem Langzeitprojekt. Nach zweieinhalb Jahren physischer und emotionaler Achterbahnfahrt freue ich mich nun über das Happy End. Der Durchstieg allein wäre wenig Wert, wenn nicht ein langer Prozess zum Erfolg geführt hätte. Der wahre Erfolg liegt für mich darin, Herausforderungen angenommen und einen Weg gefunden zu haben, diese zu meistern.
Das Projekt
Die Route “Coma Sant Pere” 11- beginnt mit einem kraftvollen Boulder im Dach auf 15 Meter Höhe, gefolgt von einer No-Hand-Rastposition, bevor sie in einen ausdauernden Abschnitt übergeht, der wiederum drei längere Sequenzen umfasst – jeweils im Bereich 8a bis 8b. Nach dem brüchigen 7a-Zustieg und dem 7b+/c Dachboulder müssen noch circa 70 Züge in einem 45 Grad steilen und 30 Meter langen Überhang geklettert werden. Die Herausforderung der Route liegt nicht nur darin, genügend Boulderstrom für den Start zu haben, sondern zugleich genügend Ausdauer, um den oberen Teil durchklettern zu können. Ich war sicherlich nicht die erste, die kurz vor dem Umlenker abfiel, weil sie ihre Finger vor lauter Laktat nicht mehr spürte.
Meine Challenge
Auf jeder Kletterreise gewinne ich normalerweise recht schnell Ausdauer – aber immer auf Kosten meiner Maximalkraft. Die eigentliche Herausforderung bestand deshalb für mich darin, meine Maximalkraft so weit wie möglich über den Zeitraum des Projektierens aufrechtzuerhalten und den Boulder technisch so gut zu beherrschen, dass ich ihn auch noch mit weniger Fingerkraft schaffen konnte.

Die Achterbahnfahrt
Ich versuchte die Route zum ersten Mal im Herbst 2022. Damals konnte ich einige gute Sequenzen ausarbeiten, aber der Boulder hat mir ernsthaft zu schaffen gemacht. Nach einer fokussierten Trainingsphase im Winter, in der ich mir auch einen Replika-Boulder in der Halle schraubte, kehrte ich im Frühling 2023 zurück und konnte den Boulder endlich klettern! Die anfängliche Euphorie verschwand leider sogleich, als ich merkte, dass die längeren Power-Endurance-Passagen sich plötzlich unglaublich schwer anfühlten. In diesem Jahr hat sich auch sonst für mich wenig zusammengefügt. Aber im Sommer 2024 begann ich endlich, mich wieder stark zu fühlen, und beschloss, im Herbst einen neuen Versuch zu starten. Die Reise lief richtig gut – ich startete immerhin einen soliden Durchstiegsversuch, bei dem ich beim letzten schweren Zug vor der Kette fiel. Für den Rotpunkt fehlten noch einige entscheidende Details im oberen Drittel. Nachdem ich der oberen Sequenz den letzten Schliff verliehen hatte, wurde der Boulder am Start der Route plötzlich wieder zu einer unüberwindbaren Hürde. Mein linker Fuß verlor jedes Mal den Hook, sobald ich mich nach oben bewegte. Den Gesetzen der Physik vollkommen unterlegen, flogen meine Beine, wie eine Abrissbirne, aus der Wand. Zurück zu Hause am Fingerboard wurde mir einiges klarer. Während den zwei Wochen im Projekt nahm meine Fingerkraft stetig ab. Nicht der Hook war das Problem, sondern die Leisten, an denen ich hing. Den Winter verbrachte ich hoch motiviert mit so vielen Stunden am Fingerboard wie möglich.
Der Projektabschluss
Dieses Jahr, zurück in Margalef, spürte ich sofort, dass ich bereit war. Am zweiten Tag kletterte ich den Boulder gleich sieben Mal hintereinander. Sechs Mal öfter als im vorherigen Herbst. Um dieses Niveau zu halten, fügte ich am Ende jedes Projekt-Tages kurze, aber intensive Klimmzug-Einheiten an kleinen Leisten an meinem portablen “Captain Fingerfood”-Hangboard hinzu. So konnte ich selbst am siebten Tag in der Route den Boulder noch durchsteigen. Zeitgleich baute ich genug Ausdauer für die finalen Züge auf. Ich weiß immer ziemlich genau, wann ich bereit bin, ernsthafte Rotpunktversuche zu starten. Gar nicht selten, gelingt es mir, den Durchstieg auf den Go genau vorherzusagen. Doch dieses Mal merkte ich, dass es so nah am Limit schwieriger wird, da schon kleinste Fehler zum Sturz führen. Zwei Tage lang wusste ich, dass ich bereit bin, durchzusteigen, ohne Erfolg zu haben. Im ersten Versuch fiel ich am letzten schweren Zug. Beim zweiten Versuch wollte ich es erzwingen und versuchte einen Zug statisch, den ich nur dynamisch schaffen konnte. Beim dritten Mal vermasselte ich es schon weit unten, kletterte danach aber immerhin bis zum Umlenker durch. Im vierten Versuch fügte sich dann alles zusammen. Gut ausgeruht und mit einer perfekt einstudierten Beta gelang mir der Rotpunkt. So viele Variablen können einen Durchstieg beeinflussen – positiv wie negativ. Manchmal braucht es einige Versuche, bis sich genügend davon günstig zusammenfinden.

Der Rückblick
Die Angst, den Boulder plötzlich nicht mehr zu schaffen – wie 2024 – war ständig präsent. Deshalb bin ich besonders stolz darauf, den Boulder bei jedem Versuch konstant geklettert zu haben. Noch nie zuvor habe ich mich so lange mit einer Route beschäftigt. Allein an 25 Tagen war ich in der Route. Hinzu kommen etwa 7 Tage, an denen ich in die Catedrale gepilgert bin und den Klettertag sehr schnell beendet habe. Pausentage, Trainingstage, Bouldertage, … Es ist schon verrückt, wie viel Lebenszeit in ein solches Projekt fließt..
Ich würde es wieder machen! An jedem Tag wuchs ich an dieser Herausforderung, lernte dazu und zog meine Konsequenzen aus den Momenten des Scheiterns, sowie aus den vielen kleinen Erfolgen. Ich bin unglaublich stolz auf das, was ich erreicht habe, vor allem auf meine Entwicklung in der Route. Aber auch an den Tag des Durchstiegs werde ich mich noch lange erinnern. Ich war noch nie so fertig, so emotional berührt und noch nie so glücklich zur gleichen Zeit.
Besonders froh bin ich darüber, die ganze Reise mit meinem Mann erlebt haben zu dürfen. Egal wie unzufrieden ich mit meiner Leistung war, er hat nie aufgehört mich in meinem Traum zu unterstützen und hat wahrscheinlich manchmal mehr an mich geglaubt, als ich selbst.
Die Lehre
Trotz des abschließenden Erfolgs bin ich mit meinem Klettern – und meiner mentalen Haltung – nicht ganz zufrieden. Ich dachte, ich sei technisch und taktisch auf einem soliden Niveau, aber dieses Projekt hat mir gezeigt, in welchen Bereichen ich noch Potenzial zur Verbesserung habe. Und vielleicht ist genau das die wichtigste Erkenntnis aus den letzten Jahren: Je näher ich an meinem physischen Limit klettere, desto mehr Raum für Wachstum wird sichtbar. Ich möchte in Zukunft vor allem entschlossener klettern, mich mehr auf harte Züge einlassen und locker genug sein, um bei einzelnen Sequenzen kalkulierte Risiken einzugehen. Selbst mit 35 glaube ich fest daran, noch schwerer klettern zu können – solange ich weiterhin Potenziale zur Verbesserung sehe. Und das bietet der Klettersport auf so vielen Ebenen – nicht nur in puncto Kraft.

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